Internet-Pionier Ray Tomlinson: Der Mann, der die E-Mail erfand

Tom Brühwiler
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Tom Brühwiler

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Internet & Recht

Veröffentlicht am 26. Feb. 2021

Aktualisiert am 3. Juni 2021

1971 waren Handys, Laptops oder Instant Messenger noch gänzlich unbekannt. Ein Mann schickte sich vor ziemlich genau 50 Jahren jedoch an, die Zukunft der Telekommunikation nachhaltig zu verändern: Ray Tomlinson erfand die E-Mail.

Internet-Pionier Ray Tomlinson: Der Mann, der die E-Mail erfand.

Was tun, wenn Kolleginnen und Kollegen an entfernten Standorten nicht ans Telefon gehen? Könnte man sie trotzdem erreichen und ihnen eine Nachricht hinterlassen? Tomlinson brannte diese Frage schon länger unter den Nägeln. Der Computeringenieur arbeitete Ende der 60er Jahre an der Entwicklung des ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) mit, einem Vorläufer des heutigen Internets, mit dem die amerikanische Regierung die Forschungsinstitutionen im ganzen Land miteinander verbinden wollte.

Nachrichten auf einem Computer auszutauschen war zwar bereits seit Mitte der 1960-er Jahre möglich, allerdings mit einer grossen Einschränkung: Eine Nachricht konnte nur an Mailboxen auf demselben Computer verschickt werden. Das machte damals durchaus Sinn, denn die Maschinen kosteten Hunderttausende von Dollar und wurden deshalb meist nach dem Time-Sharing-Prinzip von mehreren Personen gleichzeitig genutzt. Und genau diese Personen konnten bereits untereinander Nachrichten austauschen.

Das Prinzip dahinter ist fast so simpel wie heute. Ein Postfach war ganz einfach eine Datei mit einem bestimmten Namen. Das einzig besondere daran waren die Zugriffsberechtigungen, denn andere Nutzerinnen und Nutzer konnten zwar Daten ans Ende der Datei anhängen, sie aber weder lesen noch löschen.

«CPYNET» plus «SNDMSG» = E-Mail

Dass mit ARPANET und der damit verbundenen Vernetzung nun plötzlich mehr möglich war, erkannte Tomlinson schnell. Er kombinierte das experimentelle Dateiübertragungsprogramm «CPYNET», an dem er bereits früher arbeitete, mit «SNDMSG», dem Programm, das für den Nachrichtenversand auf den damaligen Grosscomputern genutzt wurde. Damit war es möglich, Nachrichten auch an entfernte Computer zu verschicken und sie an die empfangende Postfach-Datei anzuhängen. Die E-Mail war erfunden!

«@»: Das perfekte Zeichen

Blieb noch die Frage der Adressierung: Wie unterscheidet man, welche Nachrichten auf dem lokalen Server zugestellt und welche übers Netzwerk verschickt werden sollen? Tomlinson entschied sich für das «@»-Zeichen. Aus ganz praktischen Gründen: Das Zeichen auf der Tastatur wurde bis dahin kaum verwendet und wurde auch in keinem ARPANET-Benutzernamen genutzt. Ausserdem erklärte er einmal, dass das «@» zudem als einziges Zeichen auf der Tastatur auch eine Präposition darstellt, war es für seine Zwecke perfekt gemacht habe.

Die erste E-Mail überhaupt schrieb Tomlinson 1971 an einen Computer, der sich im selben Raum wie er befand und nur via ARPANET mit dem empfangenden Computer verbunden war. Ein Meilenstein in der Computertechnik. Nur an den Inhalt der ersten E-Mail kann er sich nicht mehr erinnern. Er habe, erzählte er vor einigen Jahren, einfach eine Reihe von Testnachrichten mit einem wohl eher banalen Inhalt hin und her geschickt. Höchstwahrscheinlich sei so etwas wie «QWERTYUIOP» dringestanden.

Die beiden Computer (im Vordergrund BBN-TENEXA, kurz BBNA, im Hintergrund BBN-TENEXB, BBNB) zwischen denen Ray Tomlinson die ersten E-Mails über eine Netzwerkverbindung hin- und herschickte. (Bild: Dan Murphy / Creative Commons BY-ND 4.0)

«Erzähl es niemandem!»

Dass er da etwas ganz Grosses erfunden hatte, hatte Tomlinson aber noch nicht so richtig erkannt. Er informierte zwar den Rest seiner Arbeitsgruppe darüber, dass man nun Nachrichten über das Netzwerk senden konnte, mahnte aber gleichzeitig seinen langjährigen Arbeitskollegen Jerry Burchfiel: «Erzähl es niemandem! Daran sollten wir nicht arbeiten».

Erst als etwas später der Direktor der Regierungsbehörde DARPA, die für das ARPANET zuständig war, davon hörte und begann, seine gesamte Kommunikation auf das System umzustellen, gewann E-Mail an Bedeutung. Denn das zwang die Forscher, die für die Finanzierung Ihrer Projekte auf Roberts angewiesen waren, ebenfalls auf das System aufzuspringen. Damit wurde E-Mail schnell von einem praktischen zum unverzichtbaren Werkzeug. Der Rest ist Geschichte.

Tomlinson spielte auch später noch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der ersten E-Mail-Standards. Er wurde 1973 Co-Autor des RFC-561, in welchem auch heute noch gültige Standard-E-Mail-Felder, zum Beispiel «Von», «Betreff» oder «Datum» definiert wurden. 2012 wurde er in die «Internet Hall of Fame» aufgenommen, in der unter anderen auch Elizabeth «Jake» Feinler, über deren Pionierarbeit wir bereits geschrieben haben, Vint Cerf oder Tim Berners-Lee verewigt sind.

Ray Tomlinson starb 2016 im Alter von 74 Jahren.

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4 Kommentare

Cornelis
Cornelis 24. März 2021 12:10

@ Urs Genau das Buch “Kuckucksei” von Stoll. Habe ich vor 15 Jahren gelesen – einer der spannendsten Geschichten wie er international einen Hacker verfolgt, via PC. Echt lesenswert!!

Tyson Vabaza
Tyson Vabaza 2. März 2021 15:01

Es gibt einige Theorien über den “wahren” Erfinder, gerade in der jetzigen Zeit der Zensierung der Big Tech schwierig zu beurteilen.

Urs
Urs 26. Feb. 2021 16:23

Der Ärmste musste noch erleben, wie aus einer einfachen, schlichten Methode, Informationen zu versenden und zu empfangen, blinkende, farbige HTML-Nachrichten wurden, welche hauptsächlich für dubiose Verlängerungsmethoden von Körperteilen werben oder für die unwahrscheinlich starke Zunahme von Vermögen mithilfe nigerianischer Prinzen dienen.
P.S.: ich lese gerade «Kuckucksei» von Clifford Stoll, ist vielleicht auch mal einen Blogbeitrag wert. Von den ersten Hackern, Honeypots und den Streit zwischen VMS und den Unixen… ;-)

Rolf Wilhelm
Rolf Wilhelm 29. März 2021 07:14

@Urs: Beim Kuckucksei war ich damals fast live dabei. Einige der Protagonisten in Hannover waren Nachbarn von mir. Als damals in der Tagesschau die Stürmung des Hauses gezeigt wurde und ich am nächsten Morgen in der Schule erschien, wurde ich von einigen mit grossen Augen angeschaut. Waren doch irgendwie alle der Ansicht, das der freundliche Computernerd in der Nachbarklasse das Ziel der gezeigten Aktion gewesen sein musste. Dementsprechend habe ich das Buch natürlich direkt nach seinem Erscheinen in Deutsch lesen müssen… Datex-P war zwar die Hölle, aber damals fast die einzige bezahlbare Methode, “online” zu gehen. Die Deutsche Bundespost hat effizient alles verhindert, was technisch möglich war, aber nicht mindestens durch ein von ihnen teuer vertriebenes Produkt möglich war.